Hey sexy Lady – warum ich niemals in einer Agentur arbeiten würde. Oder: Sexismus in Agenturen

Eine Sprechblase, in der "Hey sexy Lady" steht, vor lila Hintergrund

Ob sie Oda­li­ne oder Scholz & Fri­ends hei­ßen – die (Online-)Werbebranche in Deutsch­land ist auch 2025 noch zutiefst sexis­tisch. Und zudem: ras­sis­tisch. ableis­tisch. Aber das ist ein The­ma für einen ande­ren Beitrag.

2020 wur­de schon geti­telt: „Die Zeit der Aus­re­den ist vor­bei“. Sor­ry. Nein, ist sie nicht.

Ich arbei­te seit Jah­ren mit Wer­be-/Kom­mu­ni­ka­ti­ons- oder Online-Agen­tu­ren zusam­men (inzwi­schen darf ich deren Assets immer­hin auf Dis­kri­mi­nie­rung prü­fen!). Und irgend­wie fin­de ich das alles nicht ver­wun­der­lich – und das wie­der­um ist zutiefst trau­rig. Was wir sehen, bere­den und wie wir danach auch selbst han­deln, hängt eng mit­ein­an­der zusam­men. Und es offen­bart eine Welt, in der (wei­ße) Män­ner Macht haben und die­se wei­ter­hin (aus-)nutzen.

„Das kön­nen wir nicht retu­schie­ren – wir brau­chen mehr Fleisch auf dem Foto“, bekom­me ich gesagt. Damit ist gemeint, dass die norm­schö­ne weib­lich gele­se­ne Per­son auf dem Foto zu viel Klei­dung trägt. Das Wort „Fleisch“ fin­de ich als Vege­ta­rie­rin by the way völ­lig absurd für „Haut“, ist aber gän­gi­ger Werbesprech.

Zu wenig geht jedoch auch nicht. Irgend­wo steht auf der Web­site, dass irgend­ei­ne Char­ta unter­schrie­ben wur­de, von der nie­mand weiß, wofür sie wirk­lich steht, und irgend­wo sind noch die Com­pli­ance-Richt­li­ni­en ver­linkt (Richt­li­ni­en, die sich nie­mand durch­liest außer mir).

Man(n) einigt sich auf einen Kom­pro­miss, denn der Vor­stand hat das Bild ja schon abge­seg­net. Gei­les Frau­en­bild hat der Vorstand.

Auf Beau­ty Shots sind die Lip­pen stets halb geöff­net, weil das dazu­ge­hört zum Loli­ta-Image. Und: Sex sells – das wis­sen wir ja alle.

Autos, Küchen­ge­rä­te, Werk­zeu­ge … ver­kauft sich immer bes­ser mit einer Hüb­schen auf dem Bild. Und bit­te nicht zu „Over­si­ze“.

Und was kön­nen wir dafür, dass die Fotos eben so geshoo­tet wur­den. Wir haben kei­nen Ein­fluss auf den Cast.

Die Model-Sze­ne ist eben obs­zön. Man(n) arbei­tet eben mit dem, was da ist.

Eine Woman of Colour? Wäre schon gut, irgend­wo im Geschäfts­be­richt. Wir haben da eine. Wir machen mal ein paar dut­zend Bil­der von ihr, dann kön­nen wir alle Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Assets mit ihr füllen.

Sie ist so per­fekt. Sie mana­ged ihren Job. Die Kin­der. Die Stun­den­plä­ne. Die Haus­tie­re. Und denkt auch noch an die Blu­men für die Schwie­ger­mut­ter am Mut­ter­tag. Am bes­ten trägt sie auf dem Bild High Heels und ein Kleid­chen. Und ist top geschminkt.

Aber gegen #Trad­Wi­ves posi­tio­niert man(n) sich ja schon, das muss auch reichen.

Und in der Agen­tur erfüllt sie alle ihre Pflich­ten. Der Chef war gera­de beson­ders nett, er hat ein Kom­pli­ment über ihre neue Fri­sur gemacht, die las­se ihre Augen beson­ders strahlen.

Auf einer gewöhn­li­chen Ver­an­stal­tung: Auf der Büh­ne spricht die Mar­ke­ting­lei­te­rin(!) einer sonst vor allem männ­lich gepräg­ten Fir­ma über aktu­el­le Pro­jek­te, die zwei betag­ten Her­ren hin­ter mir spre­chen vor allem über ihr raf­fi­nier­tes Kleid. Es ist in der Mit­te zwei­ge­teilt: schwarz und weiß.

Väter­lich flüs­tert er ihr nach dem Vor­trag ins Ohr: Du hast heu­te sicher vie­le Neu­kun­den bezir­zen kön­nen.

Ich kot­ze innerlich.

Frau­en* begeg­nen Sexis­mus fast über­all – auf Bil­dern und auch im ech­ten Leben, beson­ders im beruf­li­chen All­tag. Oft aus Sor­ge um den eige­nen Arbeits­platz oder wegen fal­schen Höf­lich­keits-Vor­stel­lun­gen erdul­den wir sexis­ti­sche Aus­sa­gen und Hand­lun­gen durch meist männ­li­che Kol­le­gen, Vor­ge­setz­te oder auch Kun­den viel zu häufig.

Ich mache da nicht mehr mit.

Schon 1974 gab es Dis­kus­sio­nen um mög­li­che Leit­li­ni­en gegen sexis­ti­sche Wer­bung in der UNESCO, immer wie­der Vor­schlä­ge im Bun­des­tag, Initia­ti­ven wie Pink­stinks oder der Ad Girls Club, aber kei­ne Gesetze.

An alle lie­ben Mar­ket­ers da drau­ßen: Ihr seid kras­se Multiplikator*innen. Ihr erreicht eine Viel­zahl an Men­schen über Wer­be­kam­pa­gnen. Ihr ent­schei­det euch bewusst für oder gegen spe­zi­fi­sche Bil­der, For­mu­lie­run­gen oder ein­zel­ne Wör­ter. Ihr tragt damit Ver­ant­wor­tung: Nicht nur in eurer Rol­le als Füh­rungs­kraft oder als Kolleg*in, eben­so als sozi­al­ver­ant­wort­lich han­deln­der Mensch und Meinungsmacher*in.

Sexis­mus war und ist auch heu­te noch prä­sent, online wie nie­mals zuvor. Auch unbe­ab­sich­tigt sexis­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on ist sexis­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on, egal ob auf Bil­dern, in der Team-Arbeit, im Büro. In der Wer­be­bran­che wer­den immer wie­der Fäl­le von Macht­miss­brauch, Fehl­ver­hal­ten und sexu­el­ler Beläs­ti­gung laut. Jetzt hat sich der Gesamt­ver­band Kom­mu­ni­ka­ti­ons­agen­tu­ren GWA zu der The­ma­tik geäu­ßert und bie­tet ein Hil­fe­te­le­fon für Betrof­fe­ne von sexu­el­ler Dis­kri­mi­nie­rung an.

Es ist Zeit.


Mehr zum The­ma Sexis­mus in der Werbung: