Keine Flagge, kein Netzwerk, kein Zeichen? Rückblick auf den Pride Month 2025

Eine Regenbogenflagge, die sich auflöst. Zum Artikel

Der Bun­des­tag hisst die­ses Jahr kei­ne Pri­de-Flag­ge zum CSD und zusätz­lich darf das que­e­re Regen­bo­gen­netz­werk des Bun­des­tags nicht am Ber­li­ner CSD teilnehmen …

Die Regen­bo­gen-Pri­de-Flag­ge weh­te die­ses Jahr zwar auf dem Bun­des­tag – am Inter­na­tio­na­len Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter‑, Trans- und Ase­xu­el­len­feind­lich­keit (IDAHOBITA*, 17. Mai) – aber wird expli­zit nicht anläss­lich des CSD Ber­lin wehen.Die Beflag­gung wur­de 2022 von Nan­cy Fae­ser ein­ge­führt (damals Bun­des­mi­nis­te­rin des Innern und für Hei­mat), als sicht­ba­res Zei­chen der Soli­da­ri­tät für que­e­re Men­schen. („Fun“ Fact: Die For­de­rung, die Beflag­gung aus­zu­set­zen, ken­ne ich übri­gens von der A💩D …)

War­um also weht die Flag­ge die­ses Jahr nicht? Julia Klöck­ner sagt, der Chris­to­pher Street Day lebe „von sei­ner kraft­vol­len Prä­senz auf den Stra­ßen“ und benö­ti­ge kei­ne zusätz­li­che Beflag­gung auf dem Reichs­tags­ge­bäu­de. Aber – die­ses Jahr fin­det die­se Prä­senz expli­zit nicht statt! Auf Wei­sung von Paul Gött­ke, des Ver­wal­tungs­di­rek­tors des Bun­des­tags (übri­gens auch von der CDU und von Julia Klöck­ner ernannt), darf das que­e­re Regen­bo­gen­netz­werk nicht am Ber­li­ner CSD teil­neh­men. Zumin­dest nicht in sei­ner offi­zi­el­len Rol­le als Regen­bo­gen­netz­werk des Bun­des­tags und wäh­rend der Arbeits­zeit – die pri­va­te Teil­nah­me der Mit­glie­der ist immer­hin wei­ter­hin erlaubt wor­den … na toll …

Das trifft umso här­ter, da das Regen­bo­gen­netz­werk in den ver­gan­ge­nen Jah­ren am CSD teil­ge­nom­men hat. Der Ver­eins­vor­stand des Ber­li­ner CSD nann­te dies eine „akti­ve Absa­ge an que­e­re Sicht­bar­keit“ und kri­ti­sier­te: „Wer die Teil­nah­me von quee­ren Netz­werk­grup­pen staat­li­cher Insti­tu­tio­nen unter­sagt, kün­digt still­schwei­gend den Kon­sens auf, dass Grund­rech­te sicht­bar ver­tei­digt gehören.“

Ich fin­de: sich nicht zu posi­tio­nie­ren, ist nicht neu­tral, son­dern über­lässt den Bedro­hun­gen der demo­kra­ti­schen Gesell­schaft das Feld. Into­le­ranz darf nicht tole­riert wer­den, sonst schafft sich die Tole­ranz selbst ab (vgl. Tole­ranz-Para­do­xon).

Corporate Pride

Denn: Die Into­le­ranz ist gera­de ziem­lich „in Mode“. Auch die Wirt­schaft zieht ihre Unter­stüt­zung zuneh­mend zurück – bei­spiels­wei­se fal­len vie­le Spon­so­ren (v.a. aus den USA) aus, sodass gro­ße Finan­zie­rungs­lü­cken ent­ste­hen. Teil­wei­se hel­fen die Städ­te dann selbst bei der Finan­zie­rung aus (pro­mi­nent: Mün­chen). Auch in der Rhein-Neckar-Regi­on wer­den expli­zi­tes Spon­so­ring und die Teil­nah­me von Mit­ar­bei­ten­den-Netz­wer­ken an CSDs eher gemie­den. Erfreu­lich ist aber auch, dass ande­re Fir­men ohne Haupt­sitz in den USA und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men klei­ne Spon­so­ring Pake­te kau­fen, um sich expli­zit als Allies zu posi­tio­nie­ren. Ein klei­ner Lichtblick.

Grund­sätz­lich sind Cor­po­ra­te Pri­de und Pink­wa­shing nicht gut, denn oft ist es nur ein Lip­pen­be­kennt­nis, um dem eige­nen Image einen que­er­freund­li­chen Anstrich zu ver­pas­sen und dadurch mehr Umsatz zu gene­rie­ren – ohne sich sonst irgend­wie für Rech­te, Sicher­heit und Sicht­bar­keit der quee­ren Com­mu­ni­ty zu enga­gie­ren. Gleich­zei­tig funk­tio­nie­ren Cor­po­ra­te Pri­de und Pink­wa­shing eben auch nur so lan­ge, wie sich ein Groß­teil der Gesell­schaft dar­über einig ist, dass que­e­re Per­so­nen Gleich­be­rech­ti­gung ver­die­nen – und aktu­ell scheint das nicht mehr der Fall zu sein. Als sicht­ba­res Sym­ptom davon haben zahl­rei­che Unter­neh­men Jahr still­schwei­gend dar­auf ver­zich­tet, ihr Logo bunt ein­zu­fär­ben und sich damit zu posi­tio­nie­ren. (Mehr zu Pink­wa­shing fin­det ihr übri­gens im Deutsch­land­funk-Inter­view, das Noah Flei­scher her vor ein paar Wochen gege­ben hat! https://www.deutschlandfunkkultur.de/pinkwashing-ad-wenn-unternehmen-diversitaet-ueber-bord-werfen-100.html)

Queerfeindlichkeit

Ein wei­te­res Sym­ptom des aktu­el­len Zeit­geis­tes: que­er­feind­li­che Ein­stel­lun­gen wer­den zuneh­mend nor­ma­li­siert und wer­den so zur Brü­cke zwi­schen rech­ter Sze­ne und brei­te­ren Tei­len der Gesell­schaft – genau das macht sie so gefähr­lich. Die Zahl an rech­ten und wahr­schein­lich gewalt­be­rei­ten (Jugend-)Gruppen und Chats nimmt zu, und vor Kur­zem hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt das Ver­bot des rechts­extre­men Maga­zins Com­pact wie­der aufgehoben.

Poli­tisch moti­vier­te Kri­mi­na­li­tät und Que­er­feind­lich­keit sind der­zeit auf einem neu­en Höchst­stand. Die Kos­ten für die Secu­ri­ty beim CSD in Mün­chen lagen die­ses Jahr wegen umfang­rei­cher Sicher­heits­vor­keh­run­gen bei 200 000 Euro (statt 46 000 Euro wie noch vor eini­gen Jahren).

Vie­le que­e­re Ver­an­stal­tun­gen in Deutsch­land wer­den Ziel von rechts­extre­men und rechts­extre­mis­ti­schen Angrif­fen, ste­hen wegen der aktu­el­len Bedro­hungs­la­ge unter Poli­zei­schutz oder muss­ten aus Sicher­heits­grün­den abge­sagt wer­den. Bei­spiels­wei­se muss­te der CSD in Regens­burg wegen eines Droh­schrei­bens abge­sagt wer­den. Das Tole­ranz­fest „Bad Frei­en­wal­de ist Bunt“ in Bran­den­burg wur­de ange­grif­fen, und beim CSD in Emden wur­den eben­falls meh­re­re Teil­neh­men­de attackiert.

Positive Nachrichten zum Schluss

Trotz der besorg­nis­er­re­gen­den Ent­wick­lun­gen gibt es auch posi­ti­ve Nach­rich­ten, die Hoff­nung und Opti­mis­mus ver­brei­ten. Ein ermu­ti­gen­des Bei­spiel ist der CSD in Wetz­lar, der zum ers­ten Mal seit sie­ben Jah­ren wie­der statt­ge­fun­den hat. Beim Gegen­pro­test waren gera­de mal drei Dut­zend Nazis anwe­send – dies zeigt, dass die Unter­stüt­zung für die que­e­re Gemein­schaft stark bleibt und die Gegner*innen in der Min­der­heit sind. Ein wei­te­res inspi­rie­ren­des Bei­spiel ist die Akti­on der lin­ken und grü­nen Bun­des­tags­frak­tio­nen, die bei einem Pro­test im Bun­des­tag ein­far­bi­ge bun­te T‑Shirts ohne Auf­schrift tru­gen und so ein leben­di­ges Regen­bo­gen­bild erzeug­ten, um ein Zei­chen für que­e­res Leben zu setzen.

Mitglieder der Bundestagsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen tragen Kleidung in den Regenbogenfarben beim Tagesordnungspunkt "Queerfeindliche Hasskriminalität".
Mit­glie­der der Bun­des­tags­frak­tio­nen Die Lin­ke und Bünd­nis 90/Die Grü­nen tra­gen Klei­dung in den Regen­bo­gen­far­ben beim Tages­ord­nungs­punkt “Que­er­feind­li­che Hass­kri­mi­na­li­tät”. (Quel­le: Tagesschau.de)

Wo wir the­ma­tisch schon in Ber­lin sind – der Kin­der­hort einer Ber­li­ner Grund­schu­le darf wei­ter­hin die Regen­bo­gen­flag­ge his­sen, nach­dem Eltern erfolg­los dage­gen geklagt hat­ten. Dies ist ein star­kes Zei­chen für die Akzep­tanz und Unter­stüt­zung der quee­ren Gemein­schaft in der Bildung.

Ein inter­es­san­ter theo­re­ti­scher Ansatz, der mir per­sön­lich noch Hoff­nung gibt, ist das Kon­zept des „Extinc­tion Burst“. Die­se Theo­rie besagt (extrem ver­kürzt), dass es vor dem end­gül­ti­gen Ver­schwin­den eines Ver­hal­tens zu einem kurz­fris­ti­gen Anstieg die­ses Ver­hal­tens kom­men kann. Dies könn­te bedeu­ten, dass die der­zei­ti­ge Zunah­me der Que­er­feind­lich­keit ein letz­tes Auf­bäu­men ist, bevor eine nach­hal­ti­ge Ver­än­de­rung hin zu mehr Akzep­tanz und Tole­ranz ein­tritt. Mir gefällt die­ser Gedanke.

Indem wir wei­ter­hin soli­da­risch sind und uns aktiv für die Rech­te der LGBTQIA* Gemein­schaft ein­set­zen, kön­nen wir eine gerech­te­re und inklu­si­ve­re Gesell­schaft schaffen.

Quellen

  1. Spie­gel. (2025). Regen­bo­gen­netz­werk des Bun­des­tags muss vom CSD zurück­zie­hen. Abge­ru­fen von https://www.spiegel.de/politik/deutschland/csd-regenbogennetzwerk-muss-sich-nach-anweisung-der-bundestagsverwaltung-vom-csd-zurueckziehen-a-b12b9703-56d7-4f7b-8dd7-fbba216030f6
  2. RBB24. (2025). Regen­bo­gen-Netz­werk der Bun­des­tags­ver­wal­tung darf nicht am CSD teil­neh­men. Abge­ru­fen von https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2025/06/christopher-street-day-berlin-regenbogennetzwerk-bundestagsverwaltung.html
  3. Tages­spie­gel. (2025). Update „Akti­ve poli­ti­sche Absa­ge an que­e­re Sicht­bar­keit“: Regen­bo­gen-Netz­werk des Bun­des­ta­ges darf nicht am Ber­li­ner CSD teil­neh­men. Abge­ru­fen von https://www.tagesspiegel.de/berlin/aktive-politische-absage-an-queere-sichtbarkeit-regenbogen-netzwerk-des-bundestages-darf-nicht-am-berliner-csd-teilnehmen-13861093.html
  4. Süd­deut­sche Zei­tung. (2025). Münch­ner Chris­to­pher Street Day unter Druck. Abge­ru­fen von https://www.sueddeutsche.de/muenchen/csd-christopher-street-day-muenchen-schwul-lesbisch-queer-dominik-krause-li.3262970
  5. LSVD. (2025). Poli­tisch moti­vier­te Kri­mi­na­li­tät und Que­er­feind­lich­keit auf neu­em Höchst­stand. Abge­ru­fen von https://www.lsvd.de/de/ct/14408-Politisch-motivierte-Kriminalitaet-und-Queerfeindlichkeit-auf-neuem-Hoechststand
  6. Deutsch­land­funk. (2025). Regens­bur­ger CSD wird wegen abs­trak­ter Bedro­hungs­la­ge umge­plant – zuneh­men­de Anfein­dun­gen von Les­ben und Schwu­len beklagt. Abge­ru­fen von https://www.deutschlandfunk.de/regensburger-csd-wird-wegen-abstrakter-bedrohungslage-umgeplant-zunehmende-anfeindungen-von-lesben-u-100.html
  7. RBB24. (2025). Reak­tio­nen auf Angriff in Bad Frei­en­wal­de „Es ist klar, dass wir uns hier nicht ver­trei­ben las­sen“. Abge­ru­fen von https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2025/06/maerkisch-oderland-bad-freienwalde-angriff-auf-besucher-vielfaltsveranstaltung-reaktionen.html
  8. Tages­schau. (2025). Woher kommt der Hass jun­ger Rechts­extre­mer auf que­e­re Men­schen? Abge­ru­fen von https://www.tagesschau.de/inland/regional/brandenburg/rbb-woher-kommt-der-hass-junger-rechtsextremer-auf-queere-menschen-100.html
  9. NDR. (2025). Angrif­fe nach Demo zum Chris­to­pher Street Day in Emden. Abge­ru­fen von https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Angriffe-nach-CSD-Demo-in-Emden,csd1466.html
  10. Vor­wärts. (2025). CSD-Para­den unter Druck: Wie Trumps Poli­tik die Spon­so­ren­su­che erschwert. Abge­ru­fen von https://www.vorwaerts.de/inland/csd-paraden-unter-druck-wie-trumps-politik-die-sponsorensuche-erschwert
  11. SWR. (2025). In BW gibt es immer mehr rechts­extre­me Jugend­grup­pen. Abge­ru­fen von https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mehr-rechtsextreme-jugendgruppen-in-bw-100.html
  12. Tages­schau. (2025). Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hebt Com­pact-Ver­bot auf. Abge­ru­fen von https://www.tagesschau.de/inland/verbot-compact-aufgehoben-100.html
  13. Tages­schau. (2025). CSD 2025 in Wetz­lar: Hun­der­te trot­zen 35 Rechts­extre­men. Abge­ru­fen von https://www.tagesschau.de/inland/regional/hessen/hr-rechtsextreme-wollen-csd-in-wetzlar-fuer-hetze-missbrauchen-100.html
  14. RND. (2025). Bun­te Klei­dung als Pro­test: Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te set­zen Zei­chen. Abge­ru­fen von https://www.rnd.de/politik/csd-2025-abgeordnete-protestieren-gegen-queerfeindlichkeit-im-bundestag-QGDICCGL5NJXREZYSGNZLCKFAA.html
  15. Zeit. (2025). Regen­bo­gen­flag­ge darf in Ber­li­ner Hort hän­gen blei­ben. Abge­ru­fen https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025–06/gericht-grundschule-regenbogenflagge-progress-pride-berlin
  16. Wiki­pe­dia. (2025). Extinc­tion (psy­cho­lo­gy). Abge­ru­fen von https://en.wikipedia.org/wiki/Extinction_(psychology)