Der Bundestag hisst dieses Jahr keine Pride-Flagge zum CSD und zusätzlich darf das queere Regenbogennetzwerk des Bundestags nicht am Berliner CSD teilnehmen …
Die Regenbogen-Pride-Flagge wehte dieses Jahr zwar auf dem Bundestag – am Internationalen Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter‑, Trans- und Asexuellenfeindlichkeit (IDAHOBITA*, 17. Mai) – aber wird explizit nicht anlässlich des CSD Berlin wehen.Die Beflaggung wurde 2022 von Nancy Faeser eingeführt (damals Bundesministerin des Innern und für Heimat), als sichtbares Zeichen der Solidarität für queere Menschen. („Fun“ Fact: Die Forderung, die Beflaggung auszusetzen, kenne ich übrigens von der A💩D …)
Warum also weht die Flagge dieses Jahr nicht? Julia Klöckner sagt, der Christopher Street Day lebe „von seiner kraftvollen Präsenz auf den Straßen“ und benötige keine zusätzliche Beflaggung auf dem Reichstagsgebäude. Aber – dieses Jahr findet diese Präsenz explizit nicht statt! Auf Weisung von Paul Göttke, des Verwaltungsdirektors des Bundestags (übrigens auch von der CDU und von Julia Klöckner ernannt), darf das queere Regenbogennetzwerk nicht am Berliner CSD teilnehmen. Zumindest nicht in seiner offiziellen Rolle als Regenbogennetzwerk des Bundestags und während der Arbeitszeit – die private Teilnahme der Mitglieder ist immerhin weiterhin erlaubt worden … na toll …
Das trifft umso härter, da das Regenbogennetzwerk in den vergangenen Jahren am CSD teilgenommen hat. Der Vereinsvorstand des Berliner CSD nannte dies eine „aktive Absage an queere Sichtbarkeit“ und kritisierte: „Wer die Teilnahme von queeren Netzwerkgruppen staatlicher Institutionen untersagt, kündigt stillschweigend den Konsens auf, dass Grundrechte sichtbar verteidigt gehören.“
Ich finde: sich nicht zu positionieren, ist nicht neutral, sondern überlässt den Bedrohungen der demokratischen Gesellschaft das Feld. Intoleranz darf nicht toleriert werden, sonst schafft sich die Toleranz selbst ab (vgl. Toleranz-Paradoxon).
Corporate Pride
Denn: Die Intoleranz ist gerade ziemlich „in Mode“. Auch die Wirtschaft zieht ihre Unterstützung zunehmend zurück – beispielsweise fallen viele Sponsoren (v.a. aus den USA) aus, sodass große Finanzierungslücken entstehen. Teilweise helfen die Städte dann selbst bei der Finanzierung aus (prominent: München). Auch in der Rhein-Neckar-Region werden explizites Sponsoring und die Teilnahme von Mitarbeitenden-Netzwerken an CSDs eher gemieden. Erfreulich ist aber auch, dass andere Firmen ohne Hauptsitz in den USA und mittelständische Unternehmen kleine Sponsoring Pakete kaufen, um sich explizit als Allies zu positionieren. Ein kleiner Lichtblick.
Grundsätzlich sind Corporate Pride und Pinkwashing nicht gut, denn oft ist es nur ein Lippenbekenntnis, um dem eigenen Image einen queerfreundlichen Anstrich zu verpassen und dadurch mehr Umsatz zu generieren – ohne sich sonst irgendwie für Rechte, Sicherheit und Sichtbarkeit der queeren Community zu engagieren. Gleichzeitig funktionieren Corporate Pride und Pinkwashing eben auch nur so lange, wie sich ein Großteil der Gesellschaft darüber einig ist, dass queere Personen Gleichberechtigung verdienen – und aktuell scheint das nicht mehr der Fall zu sein. Als sichtbares Symptom davon haben zahlreiche Unternehmen Jahr stillschweigend darauf verzichtet, ihr Logo bunt einzufärben und sich damit zu positionieren. (Mehr zu Pinkwashing findet ihr übrigens im Deutschlandfunk-Interview, das Noah Fleischer her vor ein paar Wochen gegeben hat! https://www.deutschlandfunkkultur.de/pinkwashing-ad-wenn-unternehmen-diversitaet-ueber-bord-werfen-100.html)
Queerfeindlichkeit
Ein weiteres Symptom des aktuellen Zeitgeistes: queerfeindliche Einstellungen werden zunehmend normalisiert und werden so zur Brücke zwischen rechter Szene und breiteren Teilen der Gesellschaft – genau das macht sie so gefährlich. Die Zahl an rechten und wahrscheinlich gewaltbereiten (Jugend-)Gruppen und Chats nimmt zu, und vor Kurzem hat das Bundesverwaltungsgericht das Verbot des rechtsextremen Magazins Compact wieder aufgehoben.
Politisch motivierte Kriminalität und Queerfeindlichkeit sind derzeit auf einem neuen Höchststand. Die Kosten für die Security beim CSD in München lagen dieses Jahr wegen umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen bei 200 000 Euro (statt 46 000 Euro wie noch vor einigen Jahren).
Viele queere Veranstaltungen in Deutschland werden Ziel von rechtsextremen und rechtsextremistischen Angriffen, stehen wegen der aktuellen Bedrohungslage unter Polizeischutz oder mussten aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Beispielsweise musste der CSD in Regensburg wegen eines Drohschreibens abgesagt werden. Das Toleranzfest „Bad Freienwalde ist Bunt“ in Brandenburg wurde angegriffen, und beim CSD in Emden wurden ebenfalls mehrere Teilnehmende attackiert.
Positive Nachrichten zum Schluss
Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen gibt es auch positive Nachrichten, die Hoffnung und Optimismus verbreiten. Ein ermutigendes Beispiel ist der CSD in Wetzlar, der zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder stattgefunden hat. Beim Gegenprotest waren gerade mal drei Dutzend Nazis anwesend – dies zeigt, dass die Unterstützung für die queere Gemeinschaft stark bleibt und die Gegner*innen in der Minderheit sind. Ein weiteres inspirierendes Beispiel ist die Aktion der linken und grünen Bundestagsfraktionen, die bei einem Protest im Bundestag einfarbige bunte T‑Shirts ohne Aufschrift trugen und so ein lebendiges Regenbogenbild erzeugten, um ein Zeichen für queeres Leben zu setzen.
Mitglieder der Bundestagsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen tragen Kleidung in den Regenbogenfarben beim Tagesordnungspunkt “Queerfeindliche Hasskriminalität”. (Quelle: Tagesschau.de)
Wo wir thematisch schon in Berlin sind – der Kinderhort einer Berliner Grundschule darf weiterhin die Regenbogenflagge hissen, nachdem Eltern erfolglos dagegen geklagt hatten. Dies ist ein starkes Zeichen für die Akzeptanz und Unterstützung der queeren Gemeinschaft in der Bildung.
Ein interessanter theoretischer Ansatz, der mir persönlich noch Hoffnung gibt, ist das Konzept des „Extinction Burst“. Diese Theorie besagt (extrem verkürzt), dass es vor dem endgültigen Verschwinden eines Verhaltens zu einem kurzfristigen Anstieg dieses Verhaltens kommen kann. Dies könnte bedeuten, dass die derzeitige Zunahme der Queerfeindlichkeit ein letztes Aufbäumen ist, bevor eine nachhaltige Veränderung hin zu mehr Akzeptanz und Toleranz eintritt. Mir gefällt dieser Gedanke.
Indem wir weiterhin solidarisch sind und uns aktiv für die Rechte der LGBTQIA* Gemeinschaft einsetzen, können wir eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft schaffen.