Noch im vergangenen Mai berichtete die AllBrightStiftung, dass nirgendwo so wenige Frauen auf der Führungsebene vertreten sind wie in Deutschland. Laut KfW-Studie ist der Frauenanteil an der Spitze von mittelständischen Unternehmen von 2013 bis 2016 sogar um 3 % gesunken. Was Führungskräfte im Allgemeinen angeht, liegen der tatsächliche Anteil von Frauen und ihr Anteil unter den Bewerbungen um vakante Führungspositionen mit etwa 29 % bzw. 32 % immerhin nah beieinander (IW Personalpanel, Frühjahr 2017). „Female Leadership“ – Was wiegt hier mehr: die Hürden oder die Chance, für mehr Vielfalt im Management zu sorgen? Dr. Simone Burel, Geschäftsführerin von LUB GmbH – Linguistische Unternehmensberatung, eröffnet im berufundfamilie-Blog-Interview neue Sichtweisen auf Female Leadership.
Frau Dr. Burel, Sie beschäftigen sich intensiv mit Female Leadership. Warum – und wie definieren Sie Female Leadership?
Mit Führung im Allgemeinen werden typische Eigenschaften wie Dominanz und Selbstsicherheit assoziiert, die meist Männern zugeschrieben werden. Dies ist bereits als das think Manager, think Male-Phänomen seit gut dreißig Jahren bekannt – unabhängig davon, ob dies mit der Realität übereinstimmt. Female Leadership bedeutet, dass Frauen genauso selbstbewusst und selbstverständlich wie Männer ihr Potenzial und ihre beruflichen Erfolge in die Führung von Unternehmen einbringen. Das Thema wird im angelsächsischen Raum und in anderen europäischen Ländern schon sehr viel länger diskutiert und erreicht nun endlich auch Deutschland. Mir wird die Debatte hier jedoch viel zu zaghaft geführt. Beide AllBright-Berichte 2017 und 2018 zeigen: Kein Großunternehmen in Deutschland erreicht einen Frauenanteil von 30 % im Vorstand. In Deutschland ist der Anteil der Männer mit den vier häufigsten Vornamen – nämlich Stefan, Markus, Michael und Thomas – mit 13 % sogar noch höher als der Frauenanteil im Unternehmen insgesamt, der nur 12 % beträgt. Die Blacklist von AllBright hat zudem 118 Firmen aufgeführt, die keine einzige Frau im Vorstand haben. Das sind gut 73 % der 160 deutschen Börsenunternehmen.
Dieser Zustand ist inakzeptabel. Wir brauchen dringend Anreize, mehr Frauen in Führungspositionen zu bewegen, was die KPMG Women’s Leadership Study unterstreicht: Leadership muss als greifbarer Skill behandelt und möglichst früh ins Leben von jungen Frauen sozialisiert werden. Es braucht Zugang zu IT, Bildung und männerdominierten Berufen und eine Kombination von „soft rewards“ (z.B. persönliches Feedback) und „hard rewards“ (z.B. Beförderungen). Als Unternehmerin in einer Branche, die besonders stark von Männern dominiert ist, sehe ich es als meine Aufgabe, gezielt für den Bereich Female Leadership zu sensibilisieren und nicht nur bei meinen Kundinnen und Kunden das Thema Gender voranzutreiben, sondern mich auch ehrenamtlich in Gremien für mehr Frauen in den Aufsichtsräten einzusetzen oder als weibliche Mentorin zu agieren.
Neben dem Gerechtigkeitsargument hat dies auch volkswirtschaftliche Vorteile: Aktienkurse von Firmen in Relation zum Frauenanteil im Vorstand sind steigend und die weiblich geführten Unternehmen wirtschaften nachhaltiger. Beteiligung von Frauen und diverse Teams verschieben Machtverhältnisse und fördern dadurch die Produktivität.
Woran liegt es Ihrer Beobachtung nach, dass Frauen auf den oberen Etagen nicht stark vertreten sind? Hat das ggf. immer noch etwas mit der Entscheidung zwischen „Beruf oder Familie/ Privatleben“ zu tun?
Diese Unterscheidung ist eine künstlich getroffene, binäre Verzerrung unseres Lebens, die heute nicht mehr zutrifft. Das Private hat Auswirkungen auf das Berufliche und umgekehrt. Fakt ist: Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert, in manchen männlich dominierten Branchen wie der Baubranche oder der Finanzwelt ganz besonders. Obwohl DAX-notierte Unternehmen seit 2015 gesetzlich dazu verpflichtet sind, Zielgrößen zur Steigerung des Frauenanteils festzulegen, geben viele Unternehmen weiterhin die Zielgröße Null an, also null Frauen im Vorstand. Dieser Zustand ist allerdings weder auf eine mangelnde Ausbildung noch auf fehlende Qualifikationen der Frauen zurückzuführen – die international gesehen sogar besser in ihrer Ausbildung abschneiden – sondern auf eine systematische Unterschätzung bzw. Fehleinschätzung weiblicher Führungsqualitäten: aus struktureller Sicht, aber auch aus individueller Sicht. Sprich: Frauen werden vom System ausgeschlossen, unterschätzen ihre Führungsqualitäten jedoch auch selbst. Dies ist ein reziproker Prozess, bei dem sich beide Seiten gegenseitig beeinflussen.
Symptomatisch zeigt sich dies darin, dass Frauen weniger Gehalt verlangen, defensiver verhandeln, weniger nach Aufstiegschancen fragen, weniger in Präsentationen oder Meetings das Wort ergreifen, auch weniger Sprechzeit insgesamt haben oder sich unterbrechen lassen. Das sehen wir nicht nur in Studien, sondern auch in der Beratung. Schaut man ins Private, zeigt sich auch hier, dass weibliche Führungskräfte beispielsweise immer noch mehr Hausarbeit übernehmen als männliche. Klassische Rollenbilder sind weiterhin nicht aus den Köpfen verschwunden und für 56 % der befragten Führungskräfte ein Hindernis für Frauen in Führungspositionen, zeigte der HR-Report 2016 – das war vor drei Jahren.
Viele Frauen neigen aber auch dazu, sich aufgrund eines späteren Kinderwunsches früher als nötig aus dem Beruf zurückzuziehen. Dies sind jedoch vorauseilende Annahmen, die hinterfragt und offen angesprochen werden müssen. Nur weil ich ein Kind habe, heißt das nicht, dass ich einen Job nicht machen kann; möglicherweise muss ich Lebensbereiche aufteilen und meine Arbeitsgeschwindigkeit effizienter gestalten. Chaos-Kompetenz und eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit sind übrigens wichtige Skills, die das Kieler Institut für Weltwirtschaft Müttern bescheinigt und vom Arbeitsmarkt dringend anerkannt werden sollten.
Inwieweit kann eine systematisierende Sprachpraxis dazu beitragen, das eigene Führungsverständnis zu wandeln und damit auch Frauen zu einer neuen Positionierung verhelfen?
Frauen treten im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen in der Regel defensiver auf. Daher haben wir vor zwei Jahren als Teil unserer Unternehmensberatung die Marke Dr. fem. Fatale ins Leben gerufen. Darunter bieten wir Kundinnen und Kunden Vorträge, Workshops und individuelles Sprachtraining an. Sprache ist das Werkzeug, durch das Menschen schon immer große Veränderungen erreicht haben, denn sie prägt das Denken und die menschliche Wahrnehmung. Umgekehrt spiegelt sich Denken in der Sprache wieder. Ich gebe ein Beispiel: Dass in der Beratung gern mit den sogenannten Manntagen kalkuliert wird, wirkt für Frauen weniger anziehend und sie werden sprachlich ausgeschlossen.
Durch einfache sprachliche Strategien kann jeder und jede jedoch lernen, positiv über sich zu sprechen, was vielen Menschen – gerade Frauen – schwerfällt. Wie oft höre ich Sätze wie Kann ich das so über mich sagen?, Das wirkt doch arrogant, eigenlobend etc.. Wie viele gut ausgebildete Frauen berichten nicht von ihren Preisen, Auszeichnungen oder Deals, die sie eingeworben haben? Zu viele. Diese Einstellung zeigt sich durch alle Branchen und betrifft auch junge Generationen von Frauen. Hier geht es darum, althergebrachte Denkmuster zu überwinden, nämlich, dass Frauen im Hintergrund agieren und nicht prahlen sollten. Für Frauen in oder auf dem Weg zu einer Führungsposition ist es allerdings essentiell, den eigenen Selbst- und Marktwert zu kennen und überzeugend für diesen einzustehen. Die Wichtigkeit von kommunikativer Visibilität on- und offline unterschätzen gerade Wissenschaftlerinnen. Daher bietet unsere Marke Dr. fem. Fatale auch strukturierte Karriereprogramme für Frauen an Hochschulen an. Selbstbewusstsein, die Förderung durch positive Vorbilder sowie die Präsenz eines starken, professionellen Netzwerks formen die Sicht einer Frau auf Leadership. Es gilt, von Beginn an größer zu denken. Dies beginnt übrigens ganz basal bei der Nutzung des Pronomens ‚ich’ in Kombination mit dem Verb ‚wollen’ oder ‚möchten’. Anstatt der Phrase man könnte ja mal steht ich will X.
Was sind denn die häufigsten Geschlechterfallen in der Sprache der Führung?
Generell lässt sich sagen, dass sich sowohl beim Kommunikations- als auch beim Führungsstil zwischen Frauen und Männern Unterschiede feststellen lassen. Diese Andersartigkeit bezieht sich jedoch in keinem Fall auf einen Qualitätsunterschied von Frauen und Männern in der Führung. Es gibt einige belastbare Findings, die davon ausgehen, dass weibliche Führungskräfte gegen den steigenden Koordinationsbedarf bei großen und vielfältigen Teams sogar besser gewappnet sind als ihre männlichen Mitstreiter, da sie eine partizipativere Kommunikation und stärkeren Teamzusammenhalt pflegen. Gute Führung braucht kein Ego – diese Sichtweise fällt Frauen scheinbar leichter.
Ich sehe das größere Problem für Frauen auf dem Weg zu einer Führungsposition. Bestimmte Adjektive in Stellenanzeigen, wie analytisch oder ehrgeizig, ziehen eher Männer an und sorgen dafür, dass sich gut geeignete weibliche Personen nicht bewerben, was unsere Studie mit über 32.000 Stellenanzeigen gezeigt hat. Bezeichnend war, dass die Stellenanzeigen, die Führungspositionen bewarben, eben genau diese traditionell männlich konnotierten Wörter enthielten. Die Eyetracking-Studie von Jobware hat 2016 ebenso gezeigt, dass Frauen Stellentiteln ausweichen, die besonders ‚männlich’ oder antiquiert wirkten (etwa „Senior-Manager“). Daran muss das System arbeiten – wer hochqualifizierte Frauen nicht ausschließen will, sollte sorgfältiger formulieren. Und: Frauen sollten mehr Bewerbungen schreiben und nicht immer so zögerlich sein, wie wir es in vielen Fälle sehen.
Noch ein außersprachlicher Tipp: Allen meinen Kundinnen und Mentees rate ich, mindestens 26 % mehr bei einer Gehaltsverhandlung zu fordern. Auch unter Einbezug aller Strukturunterschiede bleibt noch ein realer Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern – auch im öffentlichen Dienst, dort sind es etwa 6 %, da Frauen sich schlechter eingruppieren lassen oder keine Zulagen für höherwertige Arbeit oder nicht-finanzielle Vergütungsformen verlangen.
Haben Sie konkrete sprachliche Tipps?
Sprachlich gesehen, reicht es nicht, nur ein Gendersternchen einzuführen, bei dem wir ja bislang vielerorts noch nicht einmal angekommen sind. Bevor wir sprechen, müssen wir zuallererst unsere Stereotype kritisch hinterfragen. Stereotype sind ein Bündel vorauseilender Annahmen, die sich auf Fähigkeiten und Kompetenzen beziehen, die im Alltag unvermeidbar und harmlos erscheinen, jedoch im beruflichen Kontext Probleme verursachen. Der sogenannte Männerforscher Michael Kimmel hat das 2015 in seinem Buch „Angry White Men“ sehr beeindruckend herausgestellt. Unter dem sogenannten Cowboy-Narrativ leiden beide Geschlechter und vor allem die jüngeren Männer. Sie wollen keine autoritären dysfunktionalen Macher à la Trump sein, sondern emphatische Kollegen und Familienväter. Daher könnten wir aufhören, Floskeln zu verwenden, die solche Stereotype aufrechterhalten: Das sind zum Beispiel Wörter wie Manneskraft, seinen Mann stehen, Herr der Lage werden, Manpower, Manntage oder Abwertungen wie Weichei, Gefühlsheini, (Alpha-)Softi, Frauenversteher. Bei Frauen geht es in die Richtung der Formeln, die anzeigen, dass Frauen natürlicherweise nicht arbeiten, z.B. Karrierefrau oder Rabenmutter. Selbst die Negation Ich will keine Rabenmutter sein hält das Stereotyp aufrecht, denn das Gehirn kann Verneinungen wie keine nicht verarbeiten. Stereotype finden wir auch in Rechtfertigungsstrategien (Frauen mögen keine Technik, Frauen sind zickig, Männer sind emotionslos, Männer sind triebgesteuert etc.). und sorgen dafür, dass Frauen beispielsweise weiterhin glauben, IT wäre zu kompliziert für sie.
Persönlich rate ich allen Frauen dazu, stärker ihre eigene Leistung zu betonen und nicht alles auf das ‚Team‘ oder einen ‚Glücksfall‘ abzuwälzen. Sätze wie Ich habe Glück gehabt oder Mein Chef hat sich für mich eingesetzt sind gängige Downgrading-Strategien, die das eigene Tun kleinmachen. Gute Führung ist kein Glücksfall und erfordert viel Disziplin und Emotionsmanagement. In der Regel haben die Kolleginnen viel geleistet, um an diesen Job zu kommen.
Des Weiteren hilft auch eine Sprachaufnahme per Handy, um sich auf kompetenzmindernde Kommunikation zu testen: Sogenannte Heckenausdrücke wie ich würde, ich denke, vielleicht, eigentlich schwächen die Power einer Aussage erheblich ab. Ich mache die Präsentation hört sich anders an wie Ich könnte die Präsentation machen – nämlich selbstbewusster. In diesem Zusammenhang werden auch gern die Phänomene des Manterrupting, des Unterbrechens, und des Mansplaning, des Welt-Erklärens, angeführt. Gerade für Ersteres gibt es empirische Beweise, dass Männer Frauen häufiger in professionellen Kontexten wie Meetings unterbrechen. Wer unterbricht, sollte sich auch zurück unterbrechen lassen oder den Ball freiwillig zurückgeben. Daher trainieren wir bei Dr. fem. Fatale auch das soziale adäquate Unterbrechen. Im privaten Kontext machen wir das x‑mal pro Tag. Gespräche sind wie ein Ping-Pong-Spiel und je flüssiger der Ballaustausch geht, desto besser werden sie. Minutenlage Monologe im Meeting haben noch niemandem geholfen.
Haben wir es auch in der Zukunft mit einem „Männer-kommen-vom-Mars-und-Frauen-von-der-Venus-Phänomen“ in der Führung zu tun?
Unabhängig davon, dass das wissenschaftlich gesehen so noch nie galt, gibt es derzeit einige Strömungen, die Arbeit 4.0 oder Digitalisierung als ‚weiblich’ betiteln. Arbeit 4.0. ist eine kollektive Suchbewegung. Neue Technologien bieten die Möglichkeit, Geschlechterverhältnisse, Rollenzuschreibungen und Arbeitsteilung neu zu verhandeln. Durch die Digitalisierung werden soziale und kommunikative Kompetenzen aufgewertet, empathische und intuitive Sprache mehr wertgeschätzt, das zeigen u.a. User-Anfragen bei Google. Weibliche Leader haben das Potenzial, diese Trends besser zu integrieren, indem sie kooperatives Lernen und eine partizipativere Kommunikation fördern. Gute Führung kennt kein Ego – das gilt auch bei uns im Unternehmen. Wir sprechen offen über kritische Themen und ich fordere regelmäßig Feedback ein. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, selbst unsere Praktikantinnen und Praktikanten, sind von Beginn an vollwertige Teile unseres Beratungssystems und übernehmen eigene Projekte. Unnötige hierarchische Wege gibt es nicht. Alle im Team werden zudem monetär an Erfolgen beteiligt. Ein Prozent unseres Jahresumsatzes spenden wir an Institutionen, die junge Frauen fördern.
Der Diskurs über „New Work“ und „agile Arbeit“ verspricht aber einiges: Der Cheftypus des männlichen „Alpha-Tiers“ wandelt sich zum kooperativen Arbeiter. Führung braucht Fühlen, was auch als emotionale Agilität bezeichnet wird. Jonas Kortz macht den Irrtum klar, dass Führen und Fühlen nichts miteinander zu tun haben, was wir in der Sprache vor allem bei Männern kennen (Weichei, Indianer kennt keinen Schmerz, starker Mann, Gefühlsheini/-dusel). Es ist m.E. ein großer Fehler, dass sich die westliche Gesellschaft so von ihrem Fühlen abgekapselt hat und die Ratio feiert (Danke Aufklärung!). Eine essentielle Führungskompetenz ist der Umgang mit und die Beweglichkeit von Gefühlen. Autorität leitet sich nicht mehr vom Status ab, sondern aus einer emotionalen Autorität. Wer geübt ist im Führen und Kommunizieren der eigenen Gefühle, hat mehr Zeit für ein freies und kreatives Denken.
Reden allein reicht jedoch nicht: Wir brauchen v.a. in den Medien mehr weibliche Führungskräfte, Unternehmerinnen und weibliche High Potentials. Das muss Normalfall und kein Spezialfall sein. Wir brauchen neue (Vor-)Bilder, die unsere Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit ändern – medial bekannte Beispiele sind hier Theresa May, Christine Lagarde, Alexandria Ocasio-Cortez oder Greta Thunberg. Und es braucht dafür männliche Mitstreiter, die sich vom autoritären dysfunktionalen Trumpismus absetzen und somit das Verständnis von männlicher Führung verschieben, z.B. Barack Obama, Justin Trudeau oder Emanuel Macron. Ich bin hierbei allerdings optimistisch und glaube an den sozialen Wandel durch die Digitalisierung.