Erschrocken bin ich derzeit über die aktuellen Entwicklungen. 22 % würden laut INSA-Sonntagstrend zufolge die AFD wählen … Donald Trump wird ab dem Geburtstag meiner Schwester die USA regieren, gemeinsam mit einem radikalisierten Elon Musk im Schlepptau, der #HateSpeech im Netz befeuert. Mark Zuckerberg und Meta tun es ihm gleich, indem sie zukünftig Bots deaktivieren, die bisher gewaltvolle Sprache in sozialen Medien wie Facebook und Instagram aufdeckten. Im zweiten Schritt werden interne Diversity-Programme bei Meta eingedampft. 80 deutsche Universitäten haben ihre X‑Accounts jetzt schon eingestellt. Zum Glück sind meine Firma und ich nicht (mehr) bei X oder Instagram aktiv … privat bin ich noch bei WhatsApp, mal sehen, wie lange. So könnte ich noch munter weiterschreiben, aber das Thema des Textes heute ist ein anderes: Wahlkampfreden-Analyse, wie viele von euch es gewünscht haben, nach meiner Analyse zum Sommer-Interview mit Annalena Baerbock.
2 x 8 deutsche Fahnen zieren das Redepult von Alice Weidels Parteitag-Rede in Riesa am 11.1. – Zufall? 88 ist in nationalsozialistischen Kreisen eine besondere Zahl, da H. der 8. Buchstabe im Alphabet ist – 88 ist damit der numerische Code für „Heil Hitler“ (Quelle: 88 | Hate Symbols Database | ADL). In der Linguistik schreiben wir eigentlich Wörter immer aus, allerdings entwickelt sich auch hier der Trend – wie auch in der antirassistischen Sprache – zu H*H* und A*D – weil wir keine nationalsozialistischen Phrasen weiterverbreiten wollen.
Mit dem symbolischen Fahnen-Dreiklang „schwarz-rot-gold“ (2x) beginnt Alice Weidels Rede dann auch schon, während ich die Fahnen nochmals nachzähle, um sicherzugehen. Ein Gejohle bricht im Saal aus.
Es folgen Worte des Dankes, dass die Zuschauenden dem „linken (gewaltbereiten) Mob“ getrotzt hätten, sowie an die Polizei, die Weidels Auto von „rot lackierten Nazis“ befreit hätten. Wow – so geht inhaltliche Umkehr und eine semantische Neuaufladung der Wörter Nazis und Mob, die ansonsten in anderen sprachlichen Kontexten genutzt werden: Normalerweise gebraucht die politische Linke, wie z. B. die 68-er-Bewegung, die Bezeichnung „rechter Mob“ und „Nazis“ – jetzt sollen „die Linken“ selbst „Nazis“ sein? Rechts und links als politische Lager mit eigenem Wortschatz werden hier vertauscht und völlig neu ikonisiert, wobei sprachliche Grenzen verwischt werden. Mit Nazis will die AfD nichts zu tun haben. „Rot lackiert“ dient dabei natürlich auch als Hinweis auf den Kommunismus.
Apropos Kommunismus: Fast zeitgleich zu der hier analysierten Rede zeigt sich Weidel mit Elon Musk live auf X und bezeichnet Hitler als „Sozialist“ und „Kommunist“, der bloß falsch verstanden wurde. WTF?
Elon Musks Plattform X streamt den Parteitag der AfD mit Weidels Rede übrigens live – um „freedom of speech“ zu garantieren. Die Nutzung der Plattform X sowie weiterer sozialer Medien wie Facebook und die damit entstehende Reichweite der AFD ist beispiellos erfolgreich und traurig zugleich, dass hiermit extremistisches Gedankengut ungefiltert in die Wohnzimmer kommt – wie jüngst die Post der AFD Karlsruhe, die wie ein Flugticket anmutet …
Zurück zu Weidel: Weidels Ton wirkt ungleich härter und kriegerischer als sonst in dieser Rede. „Das Jahr“, so führt sie an, beginne mit „bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unseren Straßen“ – sie steht da, ballt die Faust, erhebt den Zeigefinger. Sie wartet lange Zeit bis zum nächsten Punkt ihrer inhaltlichen Ausführungen, während die erste Reihe weiße Männer gefilmt wird. Lange Pausen zwischen ihren Sätzen. Wiederholung von „unser Land“ sowie der Pronomen „wir“ und „uns“ – ein typisches Wiederholungsstakkato der politischen Rede, das wir leider aus NS-Zeiten gut kennen. Wiederholungen schaffen Sicherheit und vermeintliche Einheit.
Rhetorische Fragen folgen: „Wer verwüstet unsere Innenstädte?“ Die von Weidel erwartete Antwort ist mir klar – ich warte schon, bis sie es ausspricht. Sie sagt es noch nicht. Das Magdeburg-Attentat wird zitiert. Der Attentäter habe „Terror in UNSER Land gebracht“ — wieder diese pronominale Abschottung nach innen – die WIR-Gruppe, die vermeintlichen „Deutschen“, zu der die ANDEREN (in Weidels Augen Menschen mit Migrationsgeschichte, Geflüchtete und Menschen, die Straftaten begangen haben) nicht gehören.
Ein interessanter Dreiklang wird als Ziel präsentiert: „Stark, reich und sicher“ solle Deutschland mit ihr wieder werden. Trikolon nennt sich diese Stilfigur. „Stark“ und „reich“ – was soll das bedeuten? Eine finanzielle Bewertung oder mehr? Durchaus doppeldeutig könnte hier auch „das Reich“ als nationalsozialistische Vokabel gemeint sein. Die Vokabeln erinnern, auch wenn sie als Adjektive stehen bleiben, unzweifelhaft an den NS-Jargon. Die Sprache im Nationalsozialismus enthielt häufig Übertreibungen und hob die „Größe“ von Personen oder Dingen mit Wörtern wie „einmalig“, „einzig“, „gigantisch“ usw. hervor. Viele Propaganda-Redewendungen kamen auch dem Bereich der Religion („Heil“, „ewig“; Quelle: Victor Klemperer: LTI – Lingua Tertii Imperii. Notizbuch eines Philologen).
Wir sind etwa bei der Hälfte der gut 20-minütigen Rede angekommen.
Vom Thema und auch der Bezeichnung „Remigration“ hatte Weidel sich bisher distanziert, wiederholt ihn nun allerdings doppelt: „dann heißt es eben RE-MI-GRA-TION“. Auch über den Remigrations-Begriff lässt sich linguistisch diskutieren. Einst aus der Soziologie als neutraler Begriff für Migrationsprozesse stammend, wurde er von der Neuen Rechten semantisch besetzt, denn er wurde als Kampfbegriff und Euphemismus für Vertreibung und Deportation übernommen, d. h. er wurde inhaltlich verengt und extrem abgewertet (= Begriffsverengung und ‑verschlechterung).
Wir kommen nun in der Rede zu Weidels 100-Tage-Plan, wenn sie Kanzlerin würde. Es ist aber nie eine „sie“-Form, sondern immer das kollektive „wir“. Dinge in der Zukunft stellt sie dar, als wären sie schon passiert: Die „deutschen Grenzen sind dicht, sie sind dicht“. Dieses narrative Mittel der Prolepse kennen wir aus der Textsorte der Vision, welche die Zukunft als Gegenwart suggeriert, um möglichst einfach Motivation für Komplexitätsmanagement und Unvorhersehbarkeit zu erzeugen. Klare, kurze, stakkatoartige Sätze. Fast nur Hauptsätze. Ansagen, keine Erklärungen. Weidel diktiert die Zukunft und will die „Verramschung des deutschen Passes“ endgültig beenden. Themenwechsel.
Klimaschutz. Ein dritter großer thematischer Block neben Rassismus und Protektionismus. Weidel möchte kein Klima schützen („weg mit linker Ideologie“) und das „Ende der Energiewende einläuten und den Ausstieg aus der EU-Klimapolitik einläuten“. Ich höre den Satz dreimal zur Sicherheit nach und glaube durchaus, hier hat sie sich versprochen, denn so wirkt der Satz wie ein simpler Dualismus – und die Rede ist sprachlich raffiniert. Das muss ich ihr lassen. Auf ihre Rhetorik ist Verlass. Und das möchte sie auch für sich in Anspruch nehmen. „Darauf könnt ihr euch verlassen“ tönt es regelmäßig. Damit spielt sie nicht nur sprachlich auf den Sicherheits-Topos an (was eigentlich alle Politiker*innen tun und sich nicht daran halten), allerdings in der du/ihr-Form. Sie siezt ihr Publikum nicht, sondern duzt – das schafft Nähe. Den anderen (Parteien) spricht sie jedoch alles ab – Interesse an Deutschland, den Bürger*innen bis hin zur „Ernsthaftigkeit“. Ein „Verharren im Niedergang“ wird vor allem der CDU attestiert – klar, denn hier gibt es noch die meisten „Wähler“ zu holen (natürlich: es geht hier nicht um Wähler*innen). Im Publikum, das einmal wieder eingeblendet wird, habe ich bisher noch keine Frau gesehen.
Berlin, Essen, Dresden, Erfurt – weitere angebliche CDU-Versäumnisse in Städten werden aufgezählt. Und das sehr anschaulich. Im Sinne eines Exempels. Ich sehe zwei Frauen. Dann hagelt es „Schande über den CDU-Innenminister von Sachsen“ – religiöse Sprache kommt hier auch mal wieder zum Vorschein.
Das Finale beginnt: „Der Brüder-Grimm-Märchenwald“ soll für deutsche Windkraftwerke abgerissen werden? Nicht mit der AfD: „Wir reißen alle Windkraftwerke nieder – Nieder mit diesen Windmühlen der Schande“ – dieses Zitat hat es in viele Medienberichte geschafft – zurecht. Denn es ist clever gemacht. Deutsches Brauchtum (wie die Brüder Grimm) wird in völkischen Ideologien besonders gern heroisiert (übrigens gab es damals auch schon in deren Werk klare antisemitische Tendenzen) und komplexe Technologien wie „Windkraft“ in einfachere Arbeitsmaschinen umgedeutet.
Ein Thema fehlt jedoch noch: Anti-Queerness. Genderstudien sollen eingestellt werden und alle Professor*innen rausgeschmissen werden, die „zu links“ oder „zu queer-freundlich“ sind. Moment mal: ist Alice Weidel nicht selbst Teil dieser von ihr diskreditierten Gruppe? Sogar in einer Regenbogenfamilie mit zwei Kindern und einer anderen Frau lebend? Dieser offene Widerspruch und gleichsam sprachliche Distanzierung ist tatsächlich in anderen Parteien weniger auffällig und wird seit jeher in der AfD geduldet. Lesbisch: ja – queer: nein.
Es geht dem Ende zu (vielleicht nicht nur in dieser Rede). Sprechchöre. Blaue Herzen, die vorab ausgelegt wurden, werden hochgehalten. Standing Ovations nehmen zu.
Ein mildes Lächeln. Appell an die „Freunde“, „für unser Land. Für unsere Kinder“, die AfD zu wählen.
Liebe Freund*innen – hoffentlich nicht. Ab jetzt werde ich selbst von A*D sprechen – als mein sprachliches Zeichen gegen Hate Speech, die ich nicht verbreiten will.