Gendergerechte Sprache ist ein Managementwerkzeug und wesentlich für Diversity

Geschäftsführerin Dr. Simone Burel vor dem diversity company Büro in Mannheim
Ein Gastbeitrag von Gerda Damböck

Ein Gastbeitrag von Gerda Damböck 

Ger­da Dam­böck fängt in Inter­views unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf das The­ma Diver­si­ty ein, um es stär­ker ins Bewusst­sein ihrer Leser:innen zu brin­gen und aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln zu beleuchten.

Die­ser Bei­trag ist zuerst im Blog DIVE IN von Ger­da Dam­böck erschienen.

Mir ist das Pro­fil von Dr. Simo­ne Burel auf Lin­ke­dIn mit einem Post zum The­ma gen­der­ge­rech­te Spra­che auf­ge­fal­len. Immer wie­der lese ich, dass Gen­dern in der Kom­mu­ni­ka­ti­on als ner­vig und zeit­rau­bend emp­fun­den wird, weil das gene­ri­sche Mas­ku­li­num ohne­hin alle Geschlech­ter umfasst. Aber wenn z. B. in einer Job­aus­schrei­bung ein „Fach­mann“ gesucht wird, wie vie­le Frau­en füh­len sich dann ange­spro­chen? Genau die­se und wei­te­re Fra­gen habe ich Simo­ne Burel gestellt.

 

Simo­ne Burel, vie­len Dank, dass Sie mei­ne Anfra­ge ange­nom­men und sich zu einem Inter­view bereit erklärt haben. Ich fin­de den Aspekt von gen­der­ge­rech­ter Spra­che sehr span­nend, da ich beruf­lich und pri­vat gern schrei­be, mit Wör­tern spie­le und auch im Bereich Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on tätig bin. Wel­che Rol­le spielt Spra­che im The­men­kom­plex von Diver­si­tät? Wer­den mit der geschlechts­neu­tra­len Ver­wen­dung von männ­li­chen Begrif­fen tat­säch­lich alle Geschlech­ter mitgedacht?

Simo­ne Burel: Spra­che wird gern als Soft­s­kill gese­hen, ist aber eigent­lich viel mehr: Spra­che ist eines der wich­tigs­ten Manage­m­ent­werk­zeu­ge. Sie hat einen enorm gro­ßen Ein­fluss auf das Den­ken und Han­deln von Per­so­nen. Wir spre­chen pro Tag etwa 10.000 Wör­ter. Wer den Hebel „Spra­che“ nicht bedient, lässt sehr viel Poten­zi­al lie­gen. Wenn wir z. B. Chan­ge-Pro­zes­se beglei­ten, sehen wir immer wie­der, dass Spra­che eine grund­le­gen­de sozia­le Kate­go­rie ist, die – wenn sie adres­siert wird – den Pro­zess deut­lich ver­ein­fa­chen und beschleu­ni­gen kann. Um auf die Fra­ge zurück­zu­kom­men: Eine Viel­zahl an metho­disch unter­schied­li­chen Stu­di­en belegt, dass beim gene­ri­schen Mas­ku­li­num nicht alle Geschlech­ter mit­ge­dacht wer­den. Es wur­de z. B. gemes­sen, dass es wesent­lich län­ger dau­ert, bis gedank­lich das Bild einer Frau ent­steht, wenn männ­li­che Begrif­fe ver­wen­det wer­den. Auch diver­se Asso­zia­ti­ons­tests bestä­ti­gen, dass Frau­en beim gene­ri­schen Mas­ku­li­num nicht mit­ge­dacht wer­den. Der wesent­li­che Punkt ist: Wenn Frau­en in der Spra­che nicht mit­ge­dacht wer­den, dann hat das auch außer­sprach­li­che Folgen.

Eine Ihrer zen­tra­len Bera­tungs­leis­tun­gen für Unter­neh­men ist die Erstel­lung gen­der­neu­tra­ler Job­aus­schrei­bun­gen. Kön­nen Sie in Bezug dar­auf beschrei­ben, was es bedeu­tet, wenn hier mit dem gene­ri­schen Mas­ku­li­num gear­bei­tet wird und z. B. ein „Fach­mann“ gesucht wird?

Ger­ne. Unter­neh­men sehen sehr schnell eine Ver­än­de­rung, wenn sie als einen der ers­ten Touch­points die Tex­te in ihren Stel­len­aus­schrei­bun­gen anpas­sen. Einer­seits hat sich gezeigt, dass der „Fach­mann“ in der Job­be­schrei­bung die Recrui­ting-Ver­ant­wort­li­chen beein­flusst und die­se bevor­zugt Män­ner ein­stel­len. Auf der ande­ren Sei­te beein­flusst die Spra­che natür­lich auch die Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mög­lich­keit von Job­su­chen­den. Meh­re­re Stu­di­en zei­gen, dass Unter­neh­men bei gegen­der­ten Stel­len­an­zei­gen als inno­va­ti­ver, fai­rer und attrak­ti­ver ein­ge­schätzt wer­den. Gleich­zei­tig erhöht sich die Anzahl von Bewer­bun­gen – in unse­ren Pro­jek­ten liegt das Ergeb­nis bei rund 30 % mehr Bewer­bun­gen von Frauen.

Wel­che Kri­te­ri­en sind wich­tig, um eine Stel­len­aus­schrei­bung zu optimieren?

Wir sehen ins­ge­samt sie­ben Kri­te­ri­en. Zen­tral ist z. B. die Ver­wen­dung von Bil­dern, die Men­schen – am bes­ten eine diver­se Grup­pe – zei­gen. Wich­tig ist außer­dem, nicht nur die Stel­len­be­zeich­nung selbst, son­dern auch alle ver­wen­de­ten Attri­bu­te zu prü­fen. Füh­rungs­po­si­tio­nen wer­den oft mit Adjek­ti­ven beschrie­ben, die wir ten­den­zi­ell Män­nern zuspre­chen – dem­entspre­chend mel­den sich auf die­se Job­aus­schrei­bun­gen dann auch über­wie­gend männ­li­che Bewer­ber. „Ehr­gei­zig und ana­ly­tisch“ ist z. B. ein Gen­der-Code, der dazu führt, dass sich weni­ger Frau­en bewer­ben. Wenn die­se Beschrei­bung auf „com­mit­ted und genau“ geän­dert wird, wer­den Frau­en und auch alle ande­ren Geschlech­ter bes­ser adres­siert. Wir ver­wen­den hier Wort­lis­ten mit bis zu 2.000 Adjek­ti­ven, die auf Gen­der-Codes getes­tet wur­den, um eine gen­der­ge­rech­te Spra­che sicherzustellen.

Wenn ich an die Orga­ni­sa­ti­on den­ke, in der ich arbei­te: Kann ich durch eine gen­der­ge­rech­te Spra­che in der inter­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on eine Ver­än­de­rung errei­chen? Und bin ich mit der Ver­wen­dung von „Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern“ kor­rekt unterwegs?

Ich sehe die inter­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on als gro­ßen Hebel. Wenn Sie eine gen­der­ge­rech­te Spra­che nut­zen, wird das von den Mit­ar­bei­ten­den – ob bewusst oder eher unbe­wusst – auf jeden Fall wahr­ge­nom­men. „Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter“ emp­feh­len wir aller­dings nicht. Auf der einen Sei­te ist das eine Paar­form, die Men­schen aus­schließt, die sich nicht als weib­lich oder männ­lich defi­nie­ren. Stu­di­en zei­gen außer­dem, dass der Fokus bei der­ar­ti­gen For­mu­lie­run­gen immer auf der ers­ten Posi­ti­on liegt. Männ­li­che Per­so­nen leh­nen die­se Form daher ver­ständ­li­cher­wei­se ten­den­zi­ell ab. Wo immer mög­lich, ver­wen­den wir Neu­tra­li­sie­run­gen wie z. B. „Mit­ar­bei­ten­de“ anstatt „Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter“ oder Alter­na­ti­ven wie „Beleg­schaft“. Eine wei­te­re Mög­lich­keit ist der Ein­satz eines ortho­gra­fi­schen Sys­tems, bspw. in Form von „Mitarbeiter:innen“. Wir ver­mu­ten aller­dings, dass sich die­ser Trend nicht durch­set­zen wird, weil die Son­der­zei­chen ein grö­ße­rer Ein­griff in das Sprach­sys­tem sind.

Sie beglei­ten Unter­neh­men auch über die Spra­che hin­aus zum The­ma Diver­si­ty. War­um den­ken Sie, müs­sen sich Orga­ni­sa­tio­nen mit Diver­si­tät aus­ein­an­der­set­zen und wel­che Fak­to­ren sind zen­tral für den Erfolg von Diversity-Maßnahmen?

Ich habe immer noch den Ein­druck, dass vie­le Unter­neh­men Diver­si­ty als „nice to have“ emp­fin­den und die betriebs­wirt­schaft­li­che Bedeu­tung voll­kom­men unter­schät­zen. Für mich ist Diver­si­ty eine krass har­te, öko­no­mi­sche Ent­schei­dung. Wer die Ziel­grup­pen von mor­gen anspre­chen und gute Bewer­ben­de haben möch­te, muss sich damit inten­siv aus­ein­an­der­set­zen. Ein soli­des Diver­si­täts­ma­nage­ment ist die Basis, um Lösun­gen zu fin­den, wie ver­schie­de­ne Rand­grup­pen ange­spro­chen und stär­ker in die Orga­ni­sa­ti­on inte­griert wer­den sol­len. Alle Mit­ar­bei­ten­den müs­sen ent­spre­chend geschult wer­den, damit sie ver­ste­hen, was Diver­si­tät ermög­licht und wie im Unter­neh­men Diver­si­tät gelebt wird. Was wir in allen Pro­jek­ten sehen: Diver­si­ty muss vom obers­ten Manage­ment mit­ge­tra­gen wer­den, damit es in einer Orga­ni­sa­ti­on zu lang­fris­ti­gen und wirk­sa­men Maß­nah­men kommt. Der Wider­hall ist dann um ein Viel­fa­ches grö­ßer. Und eine wei­te­re Beob­ach­tung: Immer mehr Unter­neh­men wer­den von außen, also durch die Nach­fra­ge, zu Diver­si­ty getrie­ben. Wir haben z. B. eine Anfra­ge von einer Bank bekom­men, die täg­lich meh­re­re Beschwer­den erhält, weil Kun­den­in­nen sich durch das Kon­takt­for­mu­lar im gene­ri­schen Mas­ku­li­num nicht ange­spro­chen fühlen.

Ich habe vor kur­zem in einem Inter­view dis­ku­tiert, ob es regio­na­le Unter­schie­de in der Wahr­neh­mung von Diver­si­ty gibt und z. B. eine star­ke Prä­senz von tra­di­tio­nel­len Indus­trie­be­trie­ben mit einem deut­li­che­ren Gen­der-Gap ein­her­geht. Haben Sie dazu Studienergebnisse?

Ja, dazu gibt es eini­ge Erhe­bun­gen. Natür­lich gibt es immer Aus­rei­ßer, aber grund­sätz­lich lässt sich sagen, dass Unter­neh­men in Städ­ten diver­ser auf­ge­stellt sind, weil einer­seits ein höhe­rer Wett­be­werb um gute Arbeits­kräf­te herrscht und es ten­den­zi­ell jün­ge­re Beschäf­tig­te gibt. Wir beob­ach­ten ganz klar, dass das The­ma Diver­si­ty stark von den Unter-30-Jäh­ri­gen getrie­ben wird. Gro­ße Unter­neh­men legen mehr Wert auf Diver­si­ty, weil sie sich kon­zep­tio­nell mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen kön­nen und z. B. auch durch Koope­ra­tio­nen mit Uni­ver­si­tä­ten Impul­se in die­se Rich­tung erhal­ten. Im Bran­chen­ver­gleich stel­len wir fest, dass der Online­han­del sowie Soft­ware- und Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men stär­ker auf diver­se Teams set­zen als z. B. Indus­trie­be­trie­be aus der Auto­mo­bil­bran­che, die sind eher etwas behä­big. Das Schluss­licht bil­den meis­tens Energiekonzerne.

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Dr. Simo­ne Burel ist Geschäfts­füh­re­rin der LUB GmbH, die sie 2015 auf Basis ihrer Dis­ser­ta­ti­on über die Spra­che der DAX-30-Unter­neh­men gegrün­det hat. Für ihre For­schung und Pra­xis­ar­beit wur­de sie mehr­fach aus­ge­zeich­net. Ihr Ziel ist, das ver­bor­ge­ne Poten­ti­al von sprach­li­chen Daten in Orga­ni­sa­tio­nen frei­zu­le­gen. Mit ihrem Team ent­wi­ckelt sie inno­va­ti­ve soft­ware-gestütz­te Bera­tungs­an­sät­ze in den Berei­chen HR, Lea­der­ship & Gen­der, CSR & Nach­hal­tig­keit sowie Chatbot-Kommunikation.

2017 bekam die LUB GmbH die ers­ten Anfra­gen für Work­shops, in denen die Unter­schie­de von Män­nern und Frau­en in der sprach­li­chen Posi­tio­nie­rung erar­bei­tet wer­den. Seit 2019 nimmt Simo­ne Burel all­ge­mein ein star­kes Inter­es­se an den The­men Gen­der und Diver­si­ty wahr und hat dem­entspre­chend mit ihrem Team ein Bera­tungs­an­ge­bot aus­ge­ar­bei­tet, das vom Work­shop bis zum Auf­bau einer kom­plet­ten Diver­si­ty-Stra­te­gie reicht.

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Zitat 

„Spra­che ist so indi­vi­du­ell wie ein Fin­ger­ab­druck. Man kann auf­grund der Sprach­wahl einer Per­son 37 psy­cho­lo­gi­sche Fak­to­ren feststellen.“

Dr. Simo­ne Burel

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Buch­tipp

“Quick Gui­de Fema­le Lea­der­ship. Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen in der Arbeits­welt 4.0“

Simo­ne Burel beschreibt in ihrem Buch 137 Touch­points, die Diver­si­tät in Unter­neh­men för­dern. Ein zen­tra­ler Touch­point ist die Spra­che. Einer der ers­ten Berüh­rungs­punk­te mit der Spra­che eines Unter­neh­mens ist die Jobausschreibung. 

https://link.springer.com/book/10.1007/978–3‑662–61303‑0

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Mein Lear­ning aus dem Interview

Ich kann mich per­sön­lich gut in das Gen­der-The­ma bzw. mir nahe Diver­si­täts­di­men­sio­nen den­ken und habe hier auch Ideen, wel­che Maß­nah­men ich in einem Unter­neh­men set­zen könn­te. Bei eini­gen Aspek­ten fällt mir das aller­dings schwe­rer. Ich weiß z. B. nicht, wie ich auf psy­chisch beein­träch­tig­te Per­so­nen zuge­hen wür­de bzw. wel­che Maß­nah­men für die betrof­fe­ne Per­son, das Team am Arbeits­platz und das Unter­neh­men glei­cher­ma­ßen ziel­füh­rend wären. Sind man­che Kate­go­rien schwe­rer adres­sier­bar als ande­re oder hängt das mit mei­ner per­sön­li­chen Wahr­neh­mung zusam­men? Simo­ne Burel emp­fiehlt als ers­ten Ansatz­punkt, in Kon­takt mit die­ser Min­der­heit zu tre­ten und offen nach­zu­fra­gen, wie das Arbeits­um­feld gestal­tet sein soll­te. Trig­ger­war­nun­gen, wie wir sie z. B. von You­tube ken­nen, sind eine Mög­lich­keit, psy­chisch beein­träch­tig­te Per­so­nen abzu­ho­len. Die Auf­klä­rung des Teams ist eine zen­tra­le Maß­nah­me. Mit fle­xi­ble­ren Arbeits­zeit­mo­del­len und 100 % Home Office kann ich z. B. bes­se­re Rah­men­be­din­gun­gen für Per­so­nen mit einer Angst­stö­rung oder Depres­sio­nen schaf­fen. Arbeits­psy­cho­lo­gi­sche Beglei­tung, Coa­chings und Men­to­rings sind eben­falls sehr effek­ti­ve Metho­den, um Mit­ar­bei­ten­de weiterzuentwickeln.