Die soziale Herkunft einer Person ist unsichtbar und daher schwer greifbar. Sie ist eine der am wenigsten beachteten Diversity-Kategorien. Erst seit kurzem wird diese Kategorie neben Faktoren wie Geschlecht, sexueller Orientierung oder Behinderung Beachtung im Diversity-Diskurs diskutiert. So wurde sie auch kürzlich (Januar 2021) erst als siebte Diversity-Dimension in die Charta der Vielfalt aufgenommen.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – oder?
Retrospektiv würde ich sagen, dass sich der Faktor soziale Herkunft in vielen Fällen die Grundsatzfrage „Studium oder Ausbildung“ bestimmt oder zumindest beeinflusst hat. Die empirische Forschung belegt diesen persönlichen Eindruck. Es wird von einem so genannten „Bildungstrichter“ gesprochen. Das bedeutet im Wesentlichen: Wenn die Eltern Akademiker:innen sind, ist es wahrscheinlich, dass ihre Kinder ebenfalls studieren werden – während Nicht-Akademiker:innen-Kinder nur zu 27 % ein Studium aufnehmen.
Ich selbst gehöre also zu den 27 %. Studiert habe ich Linguistik. Die ersten Wochen an der Uni haben sich wie ein Leben in einer Parallelwelt angefühlt. Ich hatte keine Ahnung von „der Erstiwoche“, ich habe die Unterschiede zwischen den Veranstaltungstypen nicht greifen können und hatte irgendwie permanent das Gefühl, „unwürdig“ zu sein, studieren zu dürfen. Studieren war ein riesiges Privileg für mich. Meine Kommiliton:innen waren viel abgeklärter als ich. Als ob sie wüssten, wie der Start an der Uni abläuft. Ganz ehrlich: Ich hätte das Studium anfangs fast wieder hingeschmissen, so verloren habe ich mich gefühlt. Zum Glück hat mich eine Bekannte an die Hand genommen, die im 4. Semester war.
Übrigens gibt es auch zwischen der sozialen Herkunft und der Fächerwahl im Studium Zusammenhänge. Zum Beispiel tendieren Kinder von Akademiker:innen statistisch betrachtet dazu, das Fach, die Arbeit ihrer Eltern weiterzutragen. Das gilt besonders für Medizin und Jura. Zum anderen lässt sich empirisch belegen, dass der Anteil von Studierenden ohne Akademiker:inneneltern in den Geistes- und Sozialwissenschaften am höchsten ist.
Soziale Verhältnisse und Rollenbilder in der Studienfachwahl
Und wo wir gerade bei der Fächerwahl sind: Neben dem sozialen Hintergrund spielt hier auch das Geschlecht eine Rolle, zumindest legt das die Statistik nahe. Geistes- und Sozialwissenschaften gelten als Frauenfächer, während Männer tendenziell eher im Bereich Technik vertreten sind. In Fächern wie Mathematik ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen (ebd.). Überspitzt ausgedrückt, wohl wissend, dass es da natürlich nicht nur Schwarz und Weiß gibt: Männer studieren Fächer, die später möglichst gut bezahlt sind, Frauen tendieren oft zu Fächern, die einen weniger gut bezahlten, aber möglicherweise kreativen oder sozialen Beruf versprechen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zuschreibungen bereits an kleine Kinder (Mädchen = kreativ, hilfsbereit; Jungen: körperlich, analytisch) sind einer davon.
Letztendlich lässt sich die Vermutung aufstellen, dass die Studienfachwahl nicht nur soziale Verhältnisse, sondern auch Rollenbilder immer reproduziert. Und natürlich gibt es zwischen diesen Diversitätsfaktoren auch Verbindungen. Hier ist Intersektionalität im Spiel, das bedeutet: Alle Kategorien von Diversität und damit auch alle Kategorien von Diskriminierung sind miteinander verflochten. Das macht es nicht gerade einfacher, sich die einzelnen Kategorien bewusst zu machen, Diversität zu leben und Diskriminierung zu vermeiden.
Sprache kann exkludierend wirken
Gerade das Vermeiden von Diskriminierung ist ein weites Feld. Ich bin der Meinung, dass unsere Sprache maßgeblich unser Handeln, unseren Umgang miteinander prägt. Es lohnt sich, direkt hier anzusetzen. Beschimpfungen zu vermeiden, die z. B. auf Geschlecht, Sexualität, Behinderung, soziale Herkunft uvm. abzielen, ist ein Anfang. Aber es gibt auch weniger offensichtliche sprachliche Phänomene, die keine Beleidigung sind, aber trotzdem exkludierend wirken. Z. B. das generische Maskulinum, um ein prominentes Beispiel zu nennen.
Im Bereich soziale Diversität sind es vor allem Wörter und Phrasen, die z. T. absolut fest in unserer alltäglichen Sprache verankert sind. Neben klassistischen Beleidigungen wie „Proll“ gibt es auch einige subtilere Beispiele:
- zu jmd. aufschauen (im Kontext Habitus/Geld/Stand)
- auf jmd. hinabschauen
- sozialer Abstieg
- sozialer Aufstieg
- Bildungsaufstieg
- Untergebener, Untergebene (statt Mitarbeiter, Mitarbeiterin)
- Unterschicht
- bildungsfern
- Hartz-4-TV/Hartz-4-Fernsehen
Das sind alles sprachliche Strukturen, die ein „unten“ und ein „oben“ konstruieren und akademische Bildung mit Bildung im Allgemeinen gleichsetzen. Mache davon sind negativ konnotiert:
Manche werden gemeinhin als absolut positiv verstanden. Das sind Wörter, die wir alle sicherlich dann und wann ohne Bedenken verwenden. Ein Beispiel: „Bildungsaufstieg“. Nichtakademiker:innenkinder, die in die Akademia aufsteigen – das Narrativ impliziert, dass die soziale Herkunft als „unten“ definiert wird, während das Akademiker:innenleben „oben“ stattfindet. Hier werden unterschiedliche soziale und Bildungshintergründe implizit gewertet und ein möglichst hoher Bildungsabschluss als Ideal-Zustand festgelegt. Ähnlich verhält es sich mit „zu jemandem aufschauen“ als Synonym für „jemanden bewundern“. Auch hier wird sprachlich ein Gefälle konstruiert – der eigene Ist-Zustand gegen einen „höheren“, besseren Zustand, in der Regel an Bildung, Geld oder gesellschaftlich erwünschten Fähigkeiten gemessen.
Keineswegs positiv besetzt sind hingegen Wörter wie „Unterschicht“. Eigentlich geht es beim „Schichtenmodell“ um Einkommens- und Vermögensschichten. Bezeichnungen wie „einkommensarme Schicht“ reflektieren genau das. „Unterschicht“ und „Oberschicht“ hingegen bringen wieder eine Wertung ins Spiel – „viel Geld = oben = positive Konnotation“ und „wenig Geld = unten = negative Konnotation“.
So unterschiedlich die genannten Beispiele sind, haben sie doch alle eins gemein: Sie sind klassistisch.
Hier ist Sensibilisierung wichtig. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft strukturell diskriminiert werden. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Und auch wenn, gibt es immer noch das Problem, dass guter Wille nicht reicht. Inklusiv zu kommunizieren, ist nicht einfach. Es gibt viel zu beachten. Gerade im Beruf ist es sinnvoll, alle relevanten Wörter, Phrasen und sonstigen Regeln zu konsolidieren und zusammenzuschreiben. Das hilft schon einmal. Und bei der konkreten Umsetzung kann Software eine große Hilfe sein (mehr Infos: https://www.congree.com/diversity-gendergerecht).
Insgesamt gilt es aber, erst einmal anzufangen. Sprache schafft Wirklichkeit – und jeder Schritt in Richtung Inklusion und weg von Diskriminierung ist wichtig.